10.05.2024 11:28 Uhr

Dieser Xabi Alonso kann nichts falsch machen

Xabi Alonso steht mit Bayer Leverkusen im Europa-League-Finale
Xabi Alonso steht mit Bayer Leverkusen im Europa-League-Finale

Erst sorgt die Aufstellung für Fragezeichen, dann wird er wieder mal gefeiert. Xabi Alonso und Bayer Leverkusen schreiben ihre unfassbare Erfolgsgeschichte auch in der Europa League fort und stehen nach dem 2:2 gegen AS Rom im Endspiel. Das Triple ist greifbar, genau wie die Erkenntnis: Dieser Sensation-Coach kann offenbar nichts falsch machen.

Ein Fußballspiel im Jahr 2024 ist relativ einfach. Ein Spiel dauert 90 Minuten und mindestens fünf weitere in der Nachspielzeit – und am Ende behält Xabi Alonso mit seiner Aufstellung schon irgendwie recht. Dass Leverkusen nicht verliert, erklärt sich ja fast schon von allein.

Gibt es so etwas wie Gottvertrauen im Profifußball? Nun, in Leverkusen, zwischen A1 und A3, kommen sie dem Ganzen jedenfalls ziemlich nahe.

Das jüngste Beispiel bestaunten 30.210 Zuschauer am Donnerstagabend in der BayArena, als die Late-Night-Leverkusener ihr nächstes Fußball-Drama aufführten und dann mal wieder feierten.

Bella Ciao - dann Xabi-Party

Nachdem die Roma-Gäste nicht ganz so nett von dem Stadion-DJ mit "Bella Ciao" gen ewige Stadt zurückgeschickt wurden, stieg auf der anderen Seite die nächste Party der gefühlt ewig ungeschlagenen Leverkusener.

Laut wie selten zuvor wurde es, als die Mannschaft in ihren frisch übergezogenen roten Finalshirts auf die Nordkurve zustürmte. Und die Anhänger der Werkself pickten sich Xabi Alonso als Helden heraus. Mit "Xabi, Xabi"-Rufen beorderten sie ihren Cheftrainer unmissverständlich vor die Kurve. Der Spanier, der gerne mit ein paar Metern Abstand die Feierei beobachtet und dem Team den Vortritt lässt, spielte mit. Mit seinem roten T-Shirt ließ er sich vor der Kurve feiern. "Xabi Alonso, Xabi Alonso", riefen die Fans dem Mann zu, der dieses Team zu dem alles verschlingenden Mentalitätsmonster geformt hat.

Dass der 42-Jährige aber an diesem späten Abend besungen wird, war nicht über den gesamten Spielverlauf so abzusehen.

Erste Fragezeichen ploppten auf, als die Aufstellung bekannt wurde. Kein Florian Wirtz, kein Victor Boniface? Wie schon im Hinspiel kein echter Strafraumstürmer, dafür Adam Hlozek in der Startelf. Nun ja, wird schon gut gehen - so die Stimmung.

Es wurde aber durchaus als Überraschung gewertet, dass der deutsche Nationalspieler Wirtz, den Alonso unter der Woche noch als fit erklärt hatte, im entscheidenden Halbfinal-Rückspiel nicht zur Startelf gehörte. Im Hinspiel hatte das 21 Jahre alte Bayer-Juwel den Führungstreffer erzielt. Mit Robert Andrich blieb auch der zweite Torschütze aus der Partie in Rom auf der Bank. Rotation à la Alonso.

Am italienischen Defensivbollwerk scheitern wie vor einem Jahr, das wollten die Gastgeber unbedingt vermeiden. So stürmte die Alonso-Elf furios los wie gewohnt, setzte die Gäste unter Druck, erarbeitete sich ein Plus an Chancen und Torschüssen – lag dann kurioserweise wegen zweier unglücklichen Aktionen und daraus resultierenden Elfmetern 0:2 hinten.

Während Alonso seine Mannschaft mit Gesten zu Ruhe und Besonnenheit aufforderte, wurde die Partie dennoch hitziger. Auch der Leverkusen-Coach echauffierte sich über die Pfiffe des Schiedsrichters.

Und im Stadion reckten sich immer mehr Fans und warfen die Blicke auf die Gruppe der sich aufwärmenden Bayer-Spieler am Seitenrand. Kein Wirtz? Wo bleibt Wirtz? Zumal die Offensivkräfte um Jonas Hofmann, Hlozek und Jeremie Frimpong engagiert spielten, viele Torchancen kreierten, im Abschluss aber maximal glücklos auftraten.

Wieder sticht der Joker für Bayer Leverkusen

Alonso und sein Team aber bewahrten Ruhe. In der 81. Minute ließ er dann Wirtz von der Leine: Applaus im Stadion, ein Zeichen ans eigene Team und vor allem an die AS Rom. Wohl dem, der in der Schlussphase den wohl talentiertesten Spieler Deutschlands bringen kann. Im Fokus standen nur zwei Minuten später aber zwei anderen Spieler. Alejandro Grimaldo zirkelte eine Ecke in den Sechzehner, im Kuddelmuddel sprang der Ball ans Gesicht von Gianluca Mancini, der per Eigentor den Leverkusener Anschlusstreffer erzielte.

Und Leverkusen wäre nun mal nicht Leverkusen, wenn nicht noch in den letzten Sekunden ein Tor fallen würde durch, klar, einen Joker. Josip Stanisic, der in der 90. (!) Minute eingewechselt worden war, schlenzte den Ball mit Abpfiff ins lange Eck. Tor, Eskalation, "Around the World – La La La"-Torhymne, Party.

All around Europe steht nun der Rekord von Bayer Leverkusen. Kein anderes Team schaffte bisher eine Serie von 49 ungeschlagenen Pflichtspielen in Serie. Die Werkself löste damit SL Benfica als Europa-Rekordhalter ab. Das 50er-Jubiläum kann nur noch der VfL Bochum verhindern. Genau gegen dieses Bochum kassierte Leverkusen einst (im Mai 2023) seine letzte Niederlage. Lange her.

Nach der Bundesliga-Ehrenrunde schickt Alonso sein Team Mitte Mai also endgültig in die Woche des Wahnsinns. Am 18. Mai bekommt die Werkself im Heimspiel gegen Augsburg die Meisterschale überreicht, drei Tage später geht es in Dublin gegen Atalanta Bergamo um die Europa-League-Krone, ehe dann nochmal drei Tage später in Berlin im DFB-Pokal das Triple perfekt gemacht werden kann.

Alonso erklärt Kurzeinsatz von Wirtz

"Ich habe in den Augen der Jungs gesehen, dass sie daran geglaubt haben, dieses Spiel noch zu drehen. In einer Woche zwei Finals zu spielen, ist unglaublich. Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft und jetzt haben wir das große Ziel, die drei Titel zu gewinnen", sagte Alonso auf der Pressekonferenz.

Dort klärte er auch über das lange Warten auf Wirtz auf. Ein Schlag aus der Partie gegen den BVB habe immer noch Auswirkungen und schränke den Offensivkünstler ein. 

"Er konnte nicht gut laufen, hat gehumpelt. Er wollte der Mannschaft helfen. Auch mit 70 Prozent ist er ein guter Spieler. Wir haben einen guten Einfluss von ihm gehabt", sagte Alonso.

Verunsichert hat er mit seiner Rotation seine Mannschaft ohnehin nicht. Bei der Frage, ob Alonso das Team überhaupt noch mit seinen Aufstellungen überraschen könne, musste Taktgeber Granit Xhaka in der Mixed Zone schmunzeln.

Xhaka: "Er weiß schon, was er macht"

"Was heißt überrascht? Wir haben ihn ja jeden Tag bei uns. Er weiß schon, was er macht", sagte der Schweizer. "Das, was er macht, ist auf den Punkt gebracht. Wir haben verschiedene Spieler mit verschiedenen Qualitäten, die der Mannschaft helfen können. Er hat bis heute immer die richtige Entscheidung getroffen."

Man habe gesehen, als Florian Wirtz reingekommen ist, "dass wir nochmal einen Spieler haben mit einer anderen Klasse, der ein Spiel auf sich ziehen kann", so Xhaka. Das Kompliment gelte aber nicht nur einem Spieler, sondern der ganzen Mannschaft, auch den Spielern auf der Bank. "Nur so kommt man ins Finale."

Und zwar nicht nur in eines. "Es könnte eine sehr geile Woche werden", sagte Torschütze Stanisic nach der Partie mit Blick auf den möglichen Titel-Dreierpack Mitte Mai. "Wir freuen uns auf die Spiele."

Klar ist: Egal, wie Xabi Alonso aufstellen oder rotieren wird. In Leverkusen werden ihm alle blind vertrauen. So einfach ist das manchmal.

Emmanuel Schneider, Leverkusen